Die Therapie der Multiplen Sklerose hat sich in den letzten Jahren durch die Entwicklung neuer Medikamentefür die schubförmige Phase der Erkrankung umfangreich gewandelt. Die Entwicklung von Medikamenten für Progression war bisher hingegen weniger erfolgreich. Neue Substanzen umfassen den in Europa und den USA zugelassenen B-Zell depletierenden Antikörper Ocrelizumab,der bei primärprogredienter MS mit Krankheitsaktivität zugelassen ist,sowie den Sphingosin-1Phosphat Modulator Siponimod,der aktuell in der Zulassungsphase für sekundärchronisch progrediente MS ist. Progression ist durch chronische Inflammation mit Aktivierung von Tund B-Zellen sowie Mikroglia mit Freisetzung reaktiver Sauerstofmetabolite,altersabhängige Akkumulation von Eisen und damit einhergehend neuronaler Degeneration gekennzeichnet. In dieser Arbeit soll eine Übersicht überdas Verständnis der Pathogenese und vielversprechende Therapieansätze für Progression in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung gegeben werden.
Einleitung
Die Multiple Sklerose isteinechronischinflammatorische Erkrankung desZentralnervensystems,die durch Demyelinisierung,einhergehend mit axonaler und neuronaler Degeneration gekennzeichnet ist. Die meisten Patienten haben initial einen schubförmig-remittierenden Verlauf (RRMS,85%),der im Mittel nach 15–20 Jahren in einen sekundär chronisch progredienten Verlauf (SPMS) übergeht. Ein kleiner Teil von 10– 15% der Patienten hat keine Schübe,sondern eine schleichende Akkumulation von Behinderung,die primär progrediente MS (PPMS).
Merke
Die Progression der Multiplen Sklerose ist durch chronische Inflammation mitAktivierung von Tund B-Zellen sowie Mikroglia mit Freisetzung reaktiver Sauerstofmetabolite,altersabhängige Akkumulation von Eisen und damit einhergehend neuronale Degeneration gekennzeichnet.
Bis heute sind die Behandlungsmöglichkeiten der progredienten Formen der Erkrankung sehr beschränkt. Kürzlich wurde mit dem monoklonalen B-Zell-depletierenden Antikörper Ocrelizumab eine positive Phase-IIIStudie abgeschlossen,die zur ersten Zulassung für die Behandlung primär progredienter MS in Europa und den
USA geführt hat. Die Substanz scheint jedoch besonders bei jungen Patienten mit stärkerer inflammatorischer Aktivität zu wirken,sodass die Therapie der progredienten MSVerlaufsformen nach wie vor unbefriedigend bleibt.
Die zugrunde liegenden Ursachen sind mannigfaltig und umfassen
. chronische Inflammation hintereiner relativ geschlossenen Blut-Hirn-Schranke,
. Aktivierung von Mikroglia,
. oxidativen Stress,
. Bildung von follikelartigen B-Zellstrukturen und
. altersabhängige Akkumulation von Eisen [1].
Eine Ursache,weshalb bisher die Entwicklung neuer Therapieformen wenig erfolgreich geblieben ist,liegt darin,dass etablierte In-vitround In-vivo-Modelle die o. g. pathogenetischen Aspekte der Erkrankung teils nur unzureichend widerspiegeln und es daher schwierig bleibt,Behandlungsansätze zu testen. In dieser Übersichtsarbeit werden wir das Verständnis der Pathogenese der MS-Progression darlegen und mögliche therapeutische Ansätze aus vielversprechenden präklinischen Arbeiten sowie klinische Untersuchungen vorstellen,die gegenwärtig inder Entwicklungsind.
Gliale Inflammation
Neuroglia spielen eine entscheidende Rolle zur Aufrechterhaltung der Homöostase des ZNS. Mikroglia scannen konstant das sie umgebende Mikromilieu und reagieren auf pathogene Stimuli durch Freisetzung von chemotaktischen und proinflammatorischen Faktoren sowie reaktiven Sauerstofmetaboliten (ROS). Bei progredienter MS kommt es zu zunehmender glialer Aktivierung (Abb. 2),sowohl in und um demyelinisierende Läsionen als auch difus in der grauen Substanz. Die Freisetzung von ROS und reaktiven Stickstofmetaboliten (NOS) verursacht axonalen Schaden,selbst bei intakter Myelinscheide [2].
Untersuchungen in der experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE),einem MS-ähnlichen Mausmodell,konnten zeigen,dass lange nach Erkrankungspeak die NADPH-Oxidase aktiv ist,was für eine weitere Produktion von ROS spricht [3]. Neuropathologische Untersuchungen von Hirnschnitten von MS-Patienten konnten des Weiteren zeigen,dass die Aktivierung der NADPHOxidase mit der Schädigung von Lipiden assoziiert ist.
Eine Möglichkeit,die Aktivierung von NADPH-Oxidase zu hemmen,ist durch Dextrometorphan (vielversprechende Therapieansätze sind in Tab.1 zusammengefasst). So können niedrige Konzentrationen des zentral wirksamen Antitussivums die autoimmunen Enzephalomyelitis positiv beeinflussen [4]. Dextrometorphan inhibiert gleichsam die mikrogliale Freisetzung von TNF-α,NO und freien Sauerstofradikalen [5].
Die überschießende Aktivierung von Astrozyten ist ebenso ein Ziel neuer Therapiestrategien. Astrozyten produzieren Lactosylceramid (LacCer) durch das Enzym b-1,4Galactosyltransferase 6 (B4GALT6),welches über autokrine Kopplung über den astrozytären NF-κBund IRF-1-Signalweg durch die Freisetzung von CCL2 und GM-CSF Mikroglia aktiviert [6]. Die Inhibition von LacCer verringert Neurodegeneration in einem progredienten EAE-Modell [6]. Dies könnte funktionell relevant sein,da in Läsionen von MS-Patienten hohe Konzentrationen von B4GALT6 und LacCer vorkommen [6].
Die Aktivierung von Astrozyten kann ebenso über die Hemmung des Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptors (S1PR) erfolgen. Die Hemmung von S1PR führt zu verminderter Astrogliose,Demyelinisierung und axonalem Schaden und verbessert die autoimmune Enzephalomyelitis [7]. Trotzdem verliefeine Studie mit dem S1PR-Antagonisten Fingolimod negativ [8].
Die Nachfolgesubstanz Siponimod ist jedoch vielversprechend. In der autoimmunen Enzephalomyelitis reduziert Siponimod die Astrogliose und die mikrogliale Aktivierung sowie die Lymphozyteniniltration,einhergehend mit vermindertem Verlust gabaerger Interneurone im Striatum [9].
Siponimod wurde in der kürzlich publizierten Phase-III-EXPAND-Studie bei 1651 Patienten mit einer SPMS untersucht. Die Behandlung reduziertedas relative Risiko einer Behinderungsprogression nach 3Monaten um 21% (HR 0,79;95%-Konidenzintervall 0,64–0,95;p=0,013) [10]. Hinsichtlich der Behinderungsprogression scheint die Substanz somit eine vergleichbare Wirkstärke wie Ocrelizumab aufzuweisen. Des Weiteren führtedie Behandlung mit Siponimod zu einer Reduktion von Hirnatrophie um 15% (adjustierter Mittelwert über 12 und 24Monate),sodass man neuroprotektive Efekte postulieren kann. Siponimod ist seit März 2019 in den USA für CIS,RRMS und aktive SPMS zugelassen. Die Zulassung in Deutschland wird für Ende 2019 erwartet.
Siponimod reduziertdas relative Risiko einer Behinderungsprogression in der EXPAND-Studie nach drei Monaten um 21% und Hirnatrophie um 15%. Die Zulassung in Deutschland wirdfür Ende 2019 erwartet.
Dimethylfumarat (DMF),zugelassen für die RRMS,hat vielversprechende Eigenschaften,die für potenzielle Wirksamkeit bei progredienter MS sprechen. DMF wirkt über eine Vielzahl biologischer Efekte. DMF modiiziert den KEAP-1/Nuclear Factor (Erythroid derived 1)-like2 (Nrf2)-Komplex,was zu einer Hochregulation von antioxidativen Genen führt [11]. Dies ist mit positiven Efekten bei chronischer EAE assoziiert [11]. DMF vermittelt zusätzlich eine Veränderung der Immunzellzusammensetzung mit Hochregulation von Th2-Zellen und einer vorrangigen Lymphopenie von bestimmten T-Zell-Untergruppen,einschließlich CD8+und Gedächtnis-T-Zellen [12],[13],[14] und Reduktion von reifen B-Zellen [15]. Ein weiterer antiinflammatorischer Efekt liegt in der Modulation von Mikroglia durch die Aktivierung des Hydroxycarboxylic Acid Receptor-2-Signalwegs (HCAR2-Signalweg) [16].
In einer Pilotstudie an 26 Patienten mit progredienter MS (n=12mit PPMS,n=14mit SPMS),die mit Fumaderm® (n=18) oder DMF (n=8) behandeltworden waren,kam es bei 57,7% zu einer Stabilisierung und bei 19,2% der Patienten sogar zu einer Besserung der Symptomatik [17]. Gleichzeitig wurde die Phase-III-INSPIREStudie initiiert,die jedoch im Januar 2016 vorzeitig beendet wurde (NCT02430532). Trotz des Studienabbruchs erscheint eine Therapie mit DMF bei Progression,vornehmlich aufgrund der zytoprotektiven Eigenschaften,vielversprechend.
Ein anderer Ansatz,die progrediente MS zu behandeln,wird mit dem Antibiotikum Minozyklin verfolgt. Minozyklin verbessert die autoimmune Enzephalomyelitis durch Hemmung der Matrixmetalloproteinase 9 (MMP-9) [18] und vermindert eine mikrogliale Aktivierung [19]. Kürzlich konnte gezeigt werden,dass Minozyklin die Konversion von einem klinisch isolierten Syndrom (CIS) zur progredienten MS zumindest in den ersten 6 Monaten nach Therapiebeginn verringert [20]. Nach 24 Monaten war der Efekt zwar nicht mehr vorhanden,eine Ursache könnte jedoch die zu geringe Fallzahl der Studie gewesen sein.
Hydroxychloroquin,ein Malariamedikament,reduziert ebenso eine mikrogliale Aktivierung und hat positive Efekte in der autoimmunen Enzephalomyelitis [21]. Gegenwärtig wird Hydroxychloroquin in einer Phase-II-Studie bei PPMS untersucht (NCT02913157).
Eine weitere Möglichkeit besteht darin,Medikamente mit unterschiedlichen Charakteristika zu kombinieren. Wir konnten zeigen,dass die Kombination von Minozyklin und Hydroxychloroquin in Modellen progredienter MS synergistische Efekte in niedrigen Dosen vermittelt
[21]. Dies war verwunderlich,da in vitro keine synergistischen Efekte ersichtlich waren und daher vermutlich erst in vivo über unterschiedliche Mechanismen Synergien zutagetreten.
Ein weiterer interessanter Ansatz wird mit dem Mastzellinhibitor Masitinib verfolgt. Masitinib ist ein selektiver Tyrosinkinaseinhibitor,der das Überleben,die Migration und Aktivierung von Mastzellen inhibiert. In einer Studie an 35 Patienten zeigte sich eine Tendenz zu einer Verbesserung des T25FW,jedoch nicht des EDSS [23]. Sieben von 22mit Masitinib behandelte Patienten gaben an,dass sie klinisch von dem Medikament proitiert hätten,wohingegen kein Patient in der Placebogruppe von einer Verbesserung berichtete. Gegenwärtig wird Masitinib in einer Phase-II/III-Studie untersucht.
Veränderungen der Immunzellpopulationen bei Progression – Tund B-Lymphozyten
In den letzten Jahren geriet zunehmend die Rolle von B Zellen bei progredienter MS in den Fokus der Forschung. B-Zellen können follikelartige Strukturen in den Meningen bilden,die mit subpialer Demyelinisierung der grauen Substanz sowie der mikroglialen Aktivierung in den kortikalen Strukturen unterhalb der Follikel assoziiert sind [24],[25],[26].
Christensen und Kollegen sind der Frage nachgegangen,wie sich die Immunzellzusammensetzung bei RRMS und progredienter MS unterscheiden. In Liquor von SPMSund PPMS-Patienten ist eine Th17-Subpopulation,Interleukin-23-Rezeptor-CD4 + T-Zellen,signiikant erhöht. Die B-Zell-Zusammensetzung unterscheidet sich ebenfalls;so sind bei SPMS-Patienten Plasmablasten sowie DC-SIGN + und CD83 + B-Zellen signiikant erhöht. Dabei korrelieren ICOS+-follikuläre T-Helferzellen und DC-SIGN +-B-Zellen mit einer Progression [27],sodass es sinnvoll erscheint,gezielt Subpopulationen von Tund B-Lymphozyten therapeutisch anzugreifen.
In einer ersten Studie mit dem B-Zell-gerichteten Antikörper Rituximab mit 439 PPMS-Patienten wurden nach 2: 1-Randomisierungalle 24 Wochen 1000mg Rituximab oder Placebo über 96 Wochen infundiert (OLYMPUS,
NCT00087529). Der primäre Endpunkt – Zeit bis Behin-derungsprogression nach 96 Wochen – wurde nicht erreicht bei 38,5% in der Placebogruppe und 30,2% in der Rituximab-Gruppe (p=0,14) [28]. Subgruppenanalysen zeigten jedoch,dass Patienten unter 51 Jahren (HR 0,52;p=0,010),Patienten mit Gadolinium aufnehmenden Läsionen (HR=0,41;p=0,007) und Patienten unter 51 Jahren mit Gadolinium aufnehmenden Läsionen (HR=0,33;p=0,009) von der Therapie proitierten [28].
Ein Problem bei der i. v. Applizierung des Antikörpers könnte sein,dass nicht genug Antikörper über die BlutHirn-Schranke gelangt,um eine suffiziente zentrale BZell-Depletion zu verursachen. Aus diesem Grund wurde in der RIVITALISE-Studie die kombinierte intrathekale und i. v. Gabe von Rituximab untersucht,bei der eine gute B-Zell-Depletion im Liquor erzielt werden konnte (− 79,71%,p=0,0176) [29]. Dies hatte keinen Efekt auf die Freisetzung der leichten Kette von Neuroilament,einem Marker für den axonalen Schaden,sodass die Studie gestoppt wurde.
Die Studienautoren der RIVITALISE-Studie schlussfolgerten,dass die Studie für klinische Outcome-Parameter” unterpowert “ war. Gründe für das Scheitern könnten gewesen sein,dass
. die Konzentration von Rituximab im Liquor niedriger als im Serum ist,
. die Komplementkonzentration niedriger ist,sodass weniger komplementabhängige Zytotoxizität stattindet,
. weniger zytotoxische NK-Zellen vorhanden waren und weniger antikörperabhängige zelluläre Toxizität stattfand oder
. der Liquorfluss von den lumbalen Zisternen zu den arachnoidalen Zisternen zu einer zu niedrigen Bioverfügbarkeit des Antikörpers geführt haben könnte [29].
Obwohl die im Fallbeispiel vorgestellte Patientin jünger als 51 Jahre alt ist und in der OLYMPUS-Studie vornehmlich jüngere Patienten proitiert hatten,könnten die o.g. Überlegungenerklären,warum es beider Patientin trotz Behandlung zu keinem vollständigen Stopp der Progression gekommen ist.
Mittlerweile wurde die humanisierte Nachfolgesubstanz,Ocrelizumab,entwickelt. In der ORATORIO-Studie konnte gezeigt werden,dass Ocrelizumab das Risiko einer Behinderungsprogression nach 12 Wochen um ca. 24% reduziert (0,76;95% Konidenzintervall,0,59-0,98;p=0,03). Nach 120 Wochen lag der Anteil der Patienten der Ocrelizumab-Gruppe niedriger als in der Placebogruppe (38,9% vs. 55,1%;p<0,04) [30]. Hierzu korrespondierend kam es zu einer Besserung von MRTParametern. Das Gesamtvolumen der T2-Läsionen reduzierte sich um 3,4% unter Ocrelizumab-Behandlung,in der Placebogruppe kam es zu einem Anstieg um 7,4% (p<0,001). Hirnatrophie war ebenso vermindert (Ocrelizumab 0,9% gegenüber 1,09% in der Placebogruppe (p=0,02).
Dies führte zu der ersten Zulassung einer Therapie für primär progrediente MS mit Entzündungsaktivität im März 2017 durch die FDA,im Juli 2017 in Australien und in der EU im Januar 2018. Die Nachfolgesubstanz Ofatumumbwird gegenwärtigentwickelt.
Ocrelizumab reduziert das Risiko für Behinderungsprogression nach 12 Wochen um 24%,einhergehend mit verringerter Hirnatrophie. Ocrelizumab istseit Anfang 2018 in der EU für die Behandlung von primär progredienter MS bei Patienten mit Krankheitsaktivität
zugelassen.
Neben der Entwicklung von B-Zell-depletierenden Antikörpern werden ebenso Antikörper weiterentwickelt,die sich gegen CD52 und damit Lymphozyten richten. Die ” Next-Generation-Substanz “ GZ402668 wird mit dem Ziel entwickelt,infusionsassoziierte Reaktionen und Immunogenität zu reduzieren. Ebenso soll eine subkutane Applikation möglich sein. Der Antikörper bindet an andere Epitope als Alemtuzumab,reduziert die Freisetzung von TNF-α und IFN-γ sowie dosisabhängig Lymphozyten in vivo [31]. Gegenwärtig wird der Antikörper in einer Phase-I-Studie bei Patienten mit progredienter MS untersucht (NCT02977533).
Inflammation durch T-Lymphozyten
Inflammatorische Prozesse durch aktivierte T-Zellen sind auch während der progredienten Phase der Erkrankung von pathogenetischer Bedeutung. Aktivierte T-Lymphozyten können difus in der normal aussehenden weißen und grauen Substanz nachgewiesen werden [32]. Andererseits werden bei progredienter MS verglichen mit RRMS weniger T-Zellen im Rückenmark und Hirnparenchym gefunden. Obwohl weniger T-Zell-vermittelte Läsionen bei Progression zu inden sind,sind inflammatorische Marker von T-Zell-Aktivierung im Liquor in vergleichbarem Maß bei RRMS und progredienter MS zu inden [v33]. Dies lässt sich zum Teil dadurch erklären,dass es zu einerdifusen Inflammation in der normal aussehenden weißen Substanz und kortikaler Demyelinisierung bei SPMS und PPMS kommt.
Vor allem die kortikale Demyelinisierung mit difusem axonalem Schaden und die mikrogliale Aktivierung können vor dem Hintergrund einer globalen Inflammation nachgewiesen werden [34]. Kutzelnigg und Kollegen folgern daher,dass MS als fokale inflammatorische Erkrankung des ZNS beginnt und bei Chroniizierung eine difuse globale Inflammation zum Tragen kommt. Neben der oben schon geschilderten Bedeutung der mikroglialen Aktivierung kommt somit auch der Normalisierung von T-Zell-Aktivierung bei Progression eine wichtige Rolle zu.
Während der Progression kommt es zu difuser Inflammation in der normal aussehenden weißen und grauen Substanz,zu mikroglialerAktivierung und axonalem Schaden.
Die Veränderung der T-Zell-Zusammensetzung durch Stammzelltransplantation ist eine Möglichkeit,um die TZell-Aktivierung zu normalisieren. In einer Pilotstudie mit 6 Patienten mit schubförmig-progredienter MS führt die autologe Knochenmarktransplantation zu einer Normalisierung bzw. Verbesserung des EDSS über 1 Jahr [35].
Connick und Kollegen untersuchten das Potenzial von autologen mesenchymalen Stammzellen in einer kleinen Studie mit 10 SPMS-Patienten [36]. Die Behandlung führte zu einer Verbesserung des Visus,der VEP-Latenzen sowie einer Größenzunahme der Fläche des N. opticus. Die Dicke der retinalen Nervenfasern (OCTParameter) veränderte sich nicht. Entscheidend war des Weiteren,dass die Behandlungsicher war und keine relevanten Nebenwirkungen auftraten.
Gegenwärtig wird die Therapie in der prospektiven,randomisierten,placebokontrollierten,doppelblinden Studie ACTiMuS bei Patienten mit progredienter MS untersucht (NCT01815632). Ziel ist die Rekrutierung von 80 Patienten,60 mit SPMS,20 mit PPMS. Der primäre Outcomeparameter sind evozierte Potenziale,sekundäre Outcomeparameter sind EDSS,MSFC,OCTund MRTParameter.
Die Behandlung mit autologen hämatopoetischen Stammzellen führte in einer multizentrischen Phase-II Studie bei Patienten mit einer progredienten MS oder schubförmig-remittierenden MS verglichen mit Mitoxantron zu einer Verminderung der neuen T2-Läsionen um 79% sowie zu einer Verringerung der Gadolinium aufnehmenden Läsionen und der Schubrate,wohingegen jedoch die Behinderungsprogression nicht positiv beeinflusst wurde [37].
Cull und Kollegen untersuchten,wie sich die Immunzellzusammensetzung nach Stammzelltransplantation bei Patienten mit progredienter MS verändert [38]. In der kleinen Studie mit n13 Patienten wurden CD4 + Zellen nachhaltig reduziert,auswandernde Thymuszellen und naive T-Zellen stiegen jedoch nach 9 MRT68921 concentration bzw. 12Monaten wieder an. Regulatorische T-Zellen ielen nach Ablation ab,stiegen jedoch nicht mehr an,Th1und Th2-Zellen veränderten sich nicht,Th17-Zellen ielen zunächst ab,stiegen nach 6Monaten jedoch wieder an.
Diese Daten zeigen,dass es quasi zu einem Reset der Immunzellzusammensetzung nach Stammzelltransplantation kommt. Wichtig bei dieser Studie war,dass ein Großteil der Patienten keine klinische Verschlechterung zu beklagen hatte,und 69% der Patienten über 3 Jahre progressionsfrei blieben.
Der Langzeitverlauf über im Mittel 8,4 Jahre bei RRMS und SPMS-Patienten,die mittels autologer Stammzelltransplantation behandelt worden waren,zeigte,dass keiner der RRMS-Patienten eine Progression aufwies,wohingegen 7 von 9 SPMS-Patienten eine Behinderungsprogression zeigten [39]. Wenngleich es sich hierbei um eine kleine Patientengruppe handelt,legendiese Langzeitdaten nahe,dass vor allem Patienten mit schubförmiger MS von Stammzelltransplantation proitieren könnten und dass die Behandlung bei SPMS bereits zu spätsein Medical adhesive könnte.
In einer größeren retrospektiven Analyse von 25 Zentren in 13 Ländern wurden 281 Patienten (78% mit progredienter MS) ausgewertet [40]. Progressionsfreiheit über 5 Jahre lag bei 46% der Patienten vor. Die Risikofaktoren für Progression waren
. höheresAlter,
. progrediente MS gegenüber RRMS (HR 2,33;95%-KI,1,27-4,28) und
. mehrals 2 Immuntherapien vor Behandlung (HR 1,65;95%-KI,1,10–2,47) [40].
Axonaler Schaden und Neuroprotektion Der axonale Schaden und die Neurodegeneration gehen Hand in Hand,sodass der Protektion von Axonen bei Multipler Sklerose eine hohe Bedeutung beigemessen wird.
Die Entstehung einesaxonalen Schaden verläuft in unterschiedlichen Stadien,beginnend mit fokaler Schwellung,die später zu einer Durchtrennung und Waller-Degeneration führen kann. Ein axonaler Schaden kann in MS-Läsio-nen nachgewiesen werden und korreliert mit neurologischer Beeinträchtigung [41]. Der axonale Schaden ist des Weiteren assoziiert mit Inflammation durch CD8+ T Zellen und Makrophagen [42]. Reaktive Sauerstofund Stickstofmetabolite,die von Makrophagen/Mikroglia freigesetzt werden können,können Axone unabhängig von der Demyelinisierung schädigen [2],sodass die Reduktion inflammatorischer Prozesse und damit einhergehend des potenziellen axonalen Schadens ein wichtiges Behandlungszieldarstellt.
Axonaler Schaden führt schon vor sichtbaren strukturellen Deiziten zu Transportdeiziten und damit eingeschränktem Transport von z.B. Organellen wie Mitochondrien [43],sodass ein Energiedeizit entsteht,welches den axonalen Schaden weiter vorantreiben kann. Eine antiinflammatorische Behandlung kann Transportdeizite umkehren [43],sodass dies einen potenziel-lenTherapieansatz darstellt. Axonaler Schaden führt darüber hinaus zu einer Änderung der Ionenkanalzusammensetzung. So hat die Demyelinisierung eine vermehrte Expression von Natriumkanälen [44] zur Folge,was mutmaßlich zu vermehrtem Natriumeinstrom in Axone führen kann [45]. Interessanterweise sind die Natriumkonzentrationen inhochkortikalen Strukturen,der normal aussehenden grauen und weißen Substanz sowie in T1-Läsionen höher bei SPMS Patienten verglichen mit RRMS-Patienten [46],was als Marker axonalen Schadens angesehen werden kann.
Axonaler Schaden korreliert mit neurologischer Beeinträchtigung und kann unabhängig von Demyelinisierung durch reaktive Sauerstofmetaboliteverursacht werden.
Aus diesem Grund werden mittlerweile verschiedene therapeutische Ansätze untersucht,um Natriumkanäle zu blockieren. Das Antiepileptikum Lamotrigin ist gegen spannungsabhängige Natriumkanäle gerichtet. In einer Studie bei SPMS wurde der primäre Endpunkt Hirnatrophie nach 24 Monaten jedoch verpasst [47]. Ein Problem könnte darin liegen,dass volumetrische Analysen großen intraindividuellen und interindividuellen Schwankungen unterliegen können. Ebenso muss bedacht werden,dass Lamotrigin auch antiinflammatorische Efekte vermittelt und somit eine Flüssigkeitsverlagerung verursacht haben könnte,wie sie auch schon bei anderen immunmodulatorischen Medikamenten beschrieben wurde [48].
Ein anderes potenzielles Ziel für axonale Protektion ist der Acid-sensing Ion Channel 1 (ASIC1),welcher durchlässig für Na+und Ca2+-Ionen ist. Die Blockade des Kanals führt zu verminderter axonaler Degeneration in der EAE [49]. Das Medikament Amilorid führt zu einer Hemmung des Kanals,chronisch schubförmige EAE wird durch das Medikament verbessert [50]. In Post-mortemAnalysen chronischer Läsionen von Patienten mit progredienter MS ist ASIC-1mit axonalem Schaden assoziiert [51]. In der gleichen Studie stellten Arun und Kollegen auch Pilotdaten von 14 Patienten mit einer PPMS vor,die mit Amilorid behandelt worden waren. Hier kam es wäh-
rend der Behandlungsphase zu einer deutlichen Verbesserung einer Ganzhirnatrophie über einen Zeitraum von 3 Jahren [51]. Momentan wird Amilorid in der mehrarmigen MS-SMART-Studie bei progredienter MS untersucht (NCT01910259).
Ein weiteres Medikament,das in ebendieser Studie untersucht wird,ist das aus der Therapie der amyotrophen Lateralsklerose bekannte Medikament Riluzol. Riluzol hemmt die Freisetzung von Glutamat und erhöht dessen Aufnahme,sodass die glutamatvermittelte Exzitotoxizitätverringertwird. Darüber hinaus werden spannungsabhängige Natriumkanäle inaktiviert,eine Eigenschaft,die bei der oben geschilderten vermehrten Expression derselben auf demyelinisierten Axonen wirksam sein könnte. Riluzol verbessert die autoimmune Enzephalomyelitis (EAE),vor allem in einer therapeutischen Behandlung beim Beginn der EAE-Zeichen,einhergehend mit verminderter Inflammation,axonalem Schaden und Freisetzung von Neuroilament H als Marker fürden axonalen Schaden [52].
In einer frühen MRT-Pilotstudie bei 16 Patienten mit progredienter MS,die in den 24-Monaten vor Einschluss eine Progression aufwiesen,zeigte sich eine Verlangsamung der Atrophie im Rückenmark und eine Verringerung der Zunahme der T1-Läsionslast durch Riluzol [53].
Das dritte in dieser Multiarmstudie untersuchte Medikament ist der SSRI Fluoxetin. Fluoxetin erhöht die BDNF-Freisetzung von Astrozyten,verbessert den Glukoseverbrauch und erhöht die Laktatfreisetzung [54],eine wichtige Energiequelle für Axone. In einer kleinen Pilot-MRT-Studie (n=11) zeigte sich eine signiikante Verbesserung der NAA/Kreatin-Ratio in der weißen Substanz nach bereits 2 Wochen [55]. In einer Studie mit 42 Patienten zeigte sich kein Behandlungsefekt,was auch mit einer niedrigen Progressionsrate in der Placebogruppe zusammenhängen könnte,wie von den Autoren postuliert [56]. Vorläuige Ergebnisse der MSSMART Studie,die auf dem Kongress des ” European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) 2018 präsentiert wurden,zeigten leider keinen Efekt auf Hirnatrophie,die inale Publikation stehtjedoch aus.
Ein weiterer Ansatz,spannungsabhängige Natriumkanäle zu blockieren und hierdurch einen protektiven Efekt zu verursachen,wurde durch den Einsatz des Medikamentes Phenytoin untersucht. Phenytoin führt zu langanhaltender klinischer Besserung in 2 Modellen chronischer autoimmuner Enzephalomyelitis (EAE) [57]. In einer Phase-II-Studie bei Patienten mit einer Optikusneuritis kam es durch die Behandlung mit Phenytoin zu einer um 30% verminderten Abnahme der retinalen Nervenfaserschichtdicke nach 6 Monaten [58],sodass neuroprotektive Eigenschaften postuliert werden können.
Der Phosphodiesterase-Inhibitor Ibudilast wurde zunächst in einer Phase-II-Studie bei schubförmiger MS untersucht. Hier zeigte sich zwar kein positiver Efekt hinsichtlich Schubrate und aktiven Läsionen,es kam jedoch zu einer verringerten Entwicklung von ” black Holes “ als Marker für einen irreversiblen Schaden [59]. Hierauf wurde Ibudilast in der Phase-II-SRPRINT-MS-Studie bei progredienter MS untersucht [60]. Die kürzlich publizierte Studie zeigte eine um 52% verringerte Gesamthirnatrophie nach 96 Wochen,entsprechend ca.2,5ml weniger Hirnvolumenverlust unter Ibudilast [61].
Der potenziell neuroprotektive Efekt von Statinen wird in unterschiedlichen Erkrankungen untersucht. Simvastatin wurde in der MS-STAT-Studie bei 140 Patienten untersucht,primäres Outcome war die Verringerung von Atrophie. Die Simvastatin-Behandlung führte zu einer signiikant reduzierten Atrophie. In der Placebogruppe lag die Atrophierate bei 0,58% gegenüber 0,28% in der mit Statin behandelten Gruppe [62]. Der positive Efekt spiegelte sich in einer Verbesserung des Expanded Disability Status Scale (EDSS)
sowie des Multiple Sclerosis Impact Scale (MSIS) und des MS Functional Composite (MSFC) wider. Kürzlich publizierte Subanalysen zeigten,dass vor allem Frontallappenfunktion (Verbesserung im FAB-Score) und Lebensqualitätsparameter besser werden (SF-36,Physical Component Score) [63].
Bei Progression kommt es zu einer altersabhängigen Akkumulation von Eisen in der tiefen grauen Substanz,die mit der Progression korreliert [64],[65]. Wir haben daher mittels eines Screeningansatzes untersucht,ob es möglich ist,oral verfügbare Generika zu inden,die neuroprotektiv gegenüber Eisen sein könnten [66]. Hier konnten 35Medikamente identiiziert werden,die ferner hinsichtlich ihres mitochondrioprotektiven,antioxidativen und T-Zell-antiproliferativen Efektes untersucht wurden. Das AntidepressivumClomipramin zeigte starke neuroprotektive,antiproliferative (Tund B-Zellen) und antioxidative Efekte. Zudem konnten positive Efekte auf den Verlauf der akuten und chronischen EAE dokumentiert werden [66]. Clomipramin ist somit vielversprechend für die weitere Entwicklung von Behandlungsansätzen bei MS-Progression.
Energiedeizit und mitochondrialer Schaden
Bei Hirnschnitten von Patienten mit progredienter MS kann ein mitochondrialer Schaden gezeigt werden. Die Zahl von Mitochondrien nimmt sowohl in aktiven als auch in inaktiven Läsionen zu [67]. Weitergehend führt die Demyelinisierung zu einer Größenzunahme von Mitochondrien sowie zu einer Zunahme der Transportgeschwindigkeit von Mitochondrien im Axon [68]. Dies spricht für kompensatorische Prozesse durch vermehrten ATP-Verbrauch durch Demyelinisierung. Oxidativer Stress,z.B. durch gliale Aktivierung,schädigt Mitochondrien und führt zu einer Akkumulation von mitochondrialen DNA Deletionen,was vermutlich neurodegenerative Prozesse bei Progression fördert [1].
Bei Progression kommt es zu einer Schädigung der Atmungskette,welche zu dem Energiedeizit unabhängig von der Anzahl der Mitochondrien beitragen könnte. In demyelinisierten Axonen kommt es zu einer Akkumulation von Amyloid-Precursor-Protein (APP) assoziiert mit verminderter Aktivität der Komplex-IV-Aktivität trotz des Vorhandenseins von Mitochondrien,vornehmlich in dem aktiven Rand von chronisch aktiven Läsionen [69].
Ebenso ist die Reaktivität von nicht phosphoryliertem Neuroilament (SMI32) mit einer Reduktion der Komplex-IV-Aktivität und Mitochondrien assoziiert. Die inverse Korrelation von Komplex-IV-Aktivität mit der Dichte von Makrophagen/Mikroglia in chronischen Läsionen spricht dafür,dass Inflammation durch ebendiese Zellen mit mitochondrialem Schaden assoziiert ist. Somit zeigt sich die Wichtigkeit,gliale Inflammation zu reduzieren,um mitochondrialen und damit axonalen Schaden zu reduzieren.
Eine Möglichkeit,die mitochondriale ATP-Produktion zu steigern,liegt in der Therapie mit Kreatin [70]. In vitro führt die Gabe von Kreatin bei Oligodendrozytenvorläuferzellen zu einer erhöhten mitochondrialen ATP-Produktion und verhindert Zelltod nach Zugabe von LPS.
In Mäusen,die einen Defekt im Kreatin produzierenden Enzym Guanidinoacetat-Methyltransferase aufweisen,kommt es zu vermehrter Apoptose nach Induktion von Demyelinisierung mittels Lysolecithin. Durch die Hinzugabe von Kreatin kann die Apoptose vermindert werden. Somit könnte die Therapie mit Kreatin eine vielversprechende Behandlungsform darstellen,um die mitochondriale Energiegewinnung zu gewährleisten.
Eine andere Möglichkeit,mitochondrialen Schaden zu reduzieren,ist die Behandlung mit Interferon-β (IFN-β). IFN-β führt ebenso zu einer dosisabhängigen Protektion von striatalen Neuronen,gemessen mittels Feldpotenzialamplitude,die mit dem Hemmer des Komplexes I der Atmungskette Rotenon behandelt wurden,abhängig vom STAT1-Signalweg [71]. In der autoimmunen Enzephalomyelitis konnte der protektive Efekt von IFN-β ebenso nachgewiesen werden. Einschränkend muss bei diesem therapeutischen Ansatz bedacht werden,dass Studien mit IFN-β bei progredienter MS bisher alle negativ waren [72],[73],sodass es fraglich erscheint,ob hierdurch protektive Efekte im Menschen zu erwarten sind.
Mittlerweile geraten zunehmend mitochondriale Gene in den Fokus potenzieller Therapieentwicklung. Patienten mit dem Haplotyp JT hatten in einer Studie mit 115 Patienten ein leicht erhöhtes Risiko für das Auftreten einer MS (Odds Ratio [OR]=1,15,95%-Konidenzintervall [95%-KI]=1,07-1,24,p=0,0002) [74]. Patienten mit dem Haplotyp J hatten ein leicht erhöhtes Risiko für PPMS (OR=1,49,95%-KI=1,10-2,01,p=0,009). Die Autoren schlussfolgern,dass hier Möglichkeiten eines diagnostischen Tests,jedoch auch der Therapieentwicklung liegen.
Eine weitere Möglichkeit,Einfluss auf Mitochondrien zu nehmen,besteht darin,ihre Regeneration und Motilität zu beeinflussen. Mitochondrien werden durch Syntaphilin im Axon ixiert. Die Hemmung von Syntaphilin in dem Shiverer-Modell,bei dem kein Myelin vorhanden ist,führt zu weniger oxidativem Stress und verbesserter mitochondrialer Integrität [75]. Klinisch kommt es jedoch nicht zu einer Besserung. Dies könnte damit zusammenhängen,dass verankerte Mitochondrien mehr ATP produzieren,was in der akuten Phase einen positiven Efekthat.
Bei Chroniizierung könnte es jedoch zu einer Veränderung des Zustands mit einer vermehrten Produktion von ROS kommen,sodass die Deletion von Syntaphilin einen verbesserten Rücktransport von Mitochondrien zum Soma und den ungehinderten Transport von Mitochondrien zum Axon zur Folge haben könnte. Die klinischen Daten lassen jedoch den Schluss zu,dass für einen derartigen Therapieansatz der optimale Zeitpunkt entscheidendwäre.
Remyelinisierung
Die Schädigung von Myelin mit konsekutivem axonalem Schaden und Neurodegeneration sind maßgebliche pathomechanistische Bestandteile der MS. Myelin istentscheidendfür die axonale Reizleitung und darüber hinaus wichtig für die Unterstützung des Axons mit Nährstofen. Remyelinisierung geschieht spontan,die Fähigkeit zur Remyelinisierung nimmt jedoch im Alter ab. Ein Aspekt,der hierbei eine Rolle spielt,ist das Altern von
Makrophagen/Monozyten. So kann bei alten Mäusen,bei denen experimentell eine Demyelinisierung verursacht wurde,durch die Verbindung des Kreislaufs mit jungen Tieren die Remyelinisierung verbessert werden [76]. Dies geschieht vor allem durch das Einwandern von Monozyten.
Um Remyelinisierung zu verbessern,gibt es eine Vielzahl
möglicher Strategien,die im Folgenden zusammenge-
fasst werden sollen.
Myelin istentscheidendfür die axonale Reizleitung und die Unterstützung des Axons mit Nährstofen. Im Alter nimmt die Fähigkeit zur spontanen Remyelinisierung ab. Dies wird durch unterschiedliche therapeutische Ansätze adressiert.
Mittels eines eleganten Screeningansatzes wurde von Mei und Kollegen das Potenzial von ca. 500 Medikamenten untersucht,Myelinisierung zu verursachen [77]. Hierbei zeigte sich,dass antimuskarinerge Medikamente starke promyelinisierende Eigenschaften aufweisen. Clemastin zeigte den stärksten Efekt und wurde daher in dem Lysolecithinmodell untersucht,bei dem eine toxische Demyelinisierung erzeugt wird. Hier zeigte sich eine starke Remyelinisierung [77],sodass dieser Ansatz interessant für die weitere Entwicklung ist.
Eine weitere Möglichkeit,die Remyelinisierung zu verbessern,besteht darin,die Diferenzierung von Oligodendrozyten zu verbessern. Die Hemmung des OligodendrozytenDiferenzierungsinhibitors LINGO-1 verbessert die EAE [78]. Die kürzlich durchgeführte Phase-II-Studie SYNERGY mit dem gegen LINGO-1 gerichteten Antikörper Opicinumab wurde kürzlich vom Hersteller gestoppt,da der primäre Endpunkt verpasst wurde. Subanalysen zeigten jedoch,dass jüngere Patienten mit kürzerer Krankheitsdauer von der Therapie proitiert haben könnten. Die Behandlung von Patienten miteiner Optikusneuritis in der RENEW-Studie zeigte eine Verbesserung der VEP-Latenzen,zwar nicht nach Behandlungsende nach 24 Wochen,sondern verzögert nach 32 Wochen [79]. Dies könnte auf Remyelinisierungsprozesse hindeuten,die eine funktionelle Verbesserung bewirken,wenngleich die Untersuchung der retinalen Ganglienzellschicht keine Verbesserung zeigte.
Die Studie wird aus diesem Grund als RENEWed-Studie über 2 Jahre fortgeführt,um zu evaluieren,ob positive Langzeitefekte durch den Antikörper verursacht werden könnten (NCT02657915).
Ein weiterer interessanter Ansatz besteht in der Therapie mit Biotin. Biotin istein Kofaktorfür 4 Carboxylasen:
. die Acetyl-CoA-Carboxylase,
. die Pyruvat-Carboxylase,
. die 3-Methylcrotonyl-CoA-Carboxylase,
. die Propionyl-CoA-Carboxylase.
Es wird vermutet,dass Biotin über eine Verbesserung der Fettsäuresynthese durch Aktivierung der Carboxylasen zu einer Remyelinisierung beitragen könnte [80],[81]. Bisher gibt es für diese Hypothese jedoch keine Evidenz.
In einer randomisierten,placebokontrollierten Studie wurde hochdosiertes Biotin (MD1003) bei n=154 Patienten mit progredienter MS und einem EDSS zwischen 4,5 und 7 untersucht. Nach 12 Monaten wurden alle Patienten mit Biotin behandelt. 12,6% der mit MD1003 behandelten Patienten erreichten den primären Endpunkt,bestehend aus einer Verbesserung des EDSS um ≥ 1 Punkt nach 9 Monaten,bestätigt nach 12 Monaten [80]. In der Placebogruppe wurde der primäre Endpunkt von keinem Patienten erreicht. Nach 12 Monaten wurde die Placebogruppe ebenfalls mit Biotin behandelt,nach 24 Monaten zeigten 15,4% der von Beginn behandelten Patienten eine Verbesserung und 11,9% der von Placebo auf Biotin umgestellten Patienten.
Bei der Studie muss kritisch angemerkt werden,dass die Dosis von 300mg/d sehr hoch ist und nicht durch Dosierungsstudien validiert wurde. So wird Biotin bei Mangelzuständen üblicherweise in einer Tagesdosis von 10mg verabreicht.
Gegenwärtig wird der Efekt von MD1003 in einer Dosis von 100mg in einer randomisierten,doppelblinden,placebokontrollierten Phase-III-Studie untersucht (NCT02936037). Die verblindete Phase ist für 15 Monate geplant,gefolgt von einer 12-monatigen Open-Label-Extensionsphase,bei der alle Patienten mit dem Präparat behandelt werden. Der primäre Endpunkt besteht in einer Verbesserung von EDSS oder T25FW.
Prolaktin ist ein Hormon,das die Reymelinisierung durch den Prolaktinrezeptor verstärkt [82]. In der EAE führt Prolaktin zu einer Verbesserung in Kombination mit IFNβ [83]. Eine Möglichkeit,Prolaktin zu erhöhen,besteht darin,Domperidon zu verabreichen. Gegenwärtig wird Domperidon in einer Futility-Design-Phase-II-Studie bei SPMS-Patienten in Kanada untersucht (NCT02308137).
Ein großes Problem für erfolgreiche Remyelinisierung besteht darin,dass in Läsionen eine für Remyelinisierung inhibitorische Umgebung vorliegt. So gibt es eine Vielzahl von hemmenden Molekülen,allen voran extrazelluläre Matrixproteine wie Chondroitin-Sulfat-Proteoglykane (CSPGs) und Hyaluron. Die Hemmung der Bildung von CSPGs bzw. deren Degeneration verbessert die Rekrutierung von OPCs bzw. die Remyelinisierungskapazität [84],[85]. Tatsächlich können die Proteoglykane Versican,Aggrecan und Neurocan in den Rändern von aktiven MS Plaques nachgewiesen werden,wobei zentral in Läsionen ebendiese Proteoglykane vor allem von Makrophagen phagozytiert werden [86]. Die Autoren folgern,dass das Vorhandensein der Proteoglykane in Läsionsrändern das neuronale Einsprießen verhindert und dass die Phagozytose innerhalb der Läsionen eine Vorstufe von regenerativen Vorgängen sein könnte.
Weitere bekannte extrazelluläre Matrixmoleküle mit hemmenden Eigenschaften sind Fibronectin [87] und Netrin-1 [88],[89].
Möglicherweise muss somit zunächst eine Normalisierung des inhibitorischen Umfeldes stattinden,bevorremyelinisierende Therapien erfolgreich eingesetzt werdenkönnen.
Ein Ansatz,um die Synthese von CSPGs zu hemmen,wurde durch Keough und Kollegen verfolgt. In einem Screening wurde das Potenzial von Medikamenten,den hemmenden Einfluss von CSPGs auf das Aussprießen von OPCs zu hemmen,untersucht [84]. Ein neues Molekül,Fluorosamin,führte zu
. einer Hemmung der Synthese von CSPGs,
. verbessertemAuswachsen von OPC-Ausläufern und
. verbesserter Remyelinisierung nach fokaler Demyelinisierung in vivo.
Um Remyelinisierung nachhaltig zu verbessern,könnte somiteine Kombination der o. g. therapeutischen Ansätze vielversprechendsein. Studiendesign bei Progression Endpunkte
Ein Schlüsselproblem beider Durchführung von klinischen Studien bei progredienter MS besteht darin,valide primäre Endpunkte zu deinieren,die eine Progression gut abbilden.
Bei RRMS können die folgenden belastbaren Faktoren alsOutcome-Parameter eingesetzt werden:
. Schubaktivität,
. kernspintomograische Veränderungenim Sinne von neuen Läsionen,
. Kontrastmittelaufnahme.
Im Gegensatz dazu ist es schon deutlich schwieriger,Marker für eine Progression zu implementieren. Kernspintomograisch werden Marker für Atrophie,z.B. Globalhirnatrophie oder Atrophie der grauen Substanz sowie fokale Atrophie der retinalen Ganglienzellschicht,gemessen (Review in [90]). Ein Problem besteht darin,dass Immunmodulation zu Pseudoatrophie führen kann [48] und Ganzhirnvolumetrie teilserheblichen intraund interindividuellen Schwankungen unterliegt. Daneben existieren klinische Parameter wie EDSS,bei dem z.B. Einschränkungen der Handfunktion nicht richtig abgebildet werden,der MSFC oder der Time 25 Foot Walk (T25FW).
Eine Möglichkeit,die Sensitivität zu erhöhen,wurde von Kosa und Kollegen durch die Kombination verschiedener Parameter verfolgt. Anhand der Kohorten der IPPoMSund RIVITaLISe-Studien wurden 8 klinische,1 elektrophysiologischer,1 OCT(optische Kohärenztomograie),7MR-volumetrische,9 quantitative T1-MRTund 32 DTI-MRT-Parameter hinsichtlich der Sensitivität,eine Progression abzubilden,analysiert [91]. Am besten schnitten klinische Parameter ab,die in einem kombinierten ”CombiWISE “-Score zusammengefasst wurden und die Punkte EDSS,Scripps Neurological Rating Scale,T25FW und 9 Hole Peg Test umfassten. Sollte sich der Combi-WISE bewähren,könnte eine höhere Sensitivität bei Studien bei progredienter MS resultieren.
Beobachtungszeit
Ein weiteres Problem neben den gemessenen Parametern liegt darin,dass die Beobachtungszeit teils zu kurz ist,um klinische Efekte valide messen zu können. Eine Studienlaufzeit über 12 oder 24Monate mag bisweilen zu kurz sein,um einen klinischen Efekt gut messen zu können. Somit wird langfristig der Kombination von klinischen Endpunkten und noch zu entwickelnden Biomarkern oder Surrogatmarkern wie z. B. Neuroilament im Serum eine größere Rolle zuteilwerden.
Zusammenfassung Das wachsende Verständnis der pathogenetischen Veränderungen bei progredienter MS ermöglicht es zunehmend,gezielt die unterschiedlichen Mechanismen peripherer und zentraler Schädigung anzugreifen,zu modulieren und positiv zu beeinflussen,um eine Neurodegeneration und die damit einhergehende Behinderungsprogression zu reduzieren.
Eines der größten Probleme besteht in der sogenannten translationalen Lücke ( ”translational Gap“),die beschreibt,dass vieleder vielversprechenden therapeutischen Ansätze aus Zellkultur und tierexperimentellen Ansätzen mit großer Verzögerung oder gar nicht in klinischen Studien erprobt werden,da es der zeitliche,der personelle und der inanzielle Aufwand nicht erlauben,alle Ansätze zu verfolgen. Somit wird zukünftig neben der präklinischen Erprobung von therapeutischen Angrifspunkten und Medikamenten die Entwicklung innovativer Studiendesigns entscheidend sein,um möglichst schnell neue Therapien an Patienten untersuchen zu können.
Die ”translationale Lücke“ erschwert eine Übertragung positiver präklinischer Ergebnissein klinische Studien. Ursächlich sind u. a. der zeitliche,personelle und
inanzielle Aufwand.
Wie geschildert gibt es mannigfaltige vielversprechende Strategien. So werden mit zentralwirksamen Therapieformen wie Rilzuol,Amilorid und Fluoxetin neuroprotektive Medikamente erprobt. Ebenso sind antiinflammatorische Medikamente mit Mikroglia-hemmenden Eigenschaften wie Minozyklin oder Fumarate in der Untersuchung. Peripher angreifende Medikamente wie Statine,aber auch neue Substanzen wie der CD52-gerichtete Antikörper GZ402668 werden untersucht. Remyelinisierende Strategien sind vielversprechend,könnten aber aufgrund des Phycosphere microbiota inhibitorischen Umfeldes und der chronischen Inflammation am besten in Kombination mit antiinflammatorischen Medikamenten wirken.
Somit könnten zukünftig,analog zu der Therapie der arteriellen Hypertonie,Kombinationstherapien vielversprechend sein,um synergistische Efekte freizusetzen und Progression efektiv
. antiinflammatorisch,
. neuroprotektiv und
. remyelinisierend zu behandeln.